Tabuisierte weibliche Sexfantasien Teil 2

Bevor ich Ihnen fünf mögliche Erklärungen vorstelle, die von unterschiedlichen Sexualpädagogen und Sexualforscherinnen zu dieser sexuellen Fantasie von Frauen gegeben wurde, möchte ich wiederholen, was schon in Teil 1 des Artikels stand. 

Es ist eine Fantasie! Keine Frau, die von der Vorstellung zum Sex gezwungen zu werden, erregt wird, will dies in der Realität erleben. Denn: eine reale Vergewaltigung hat nichts mit Sex zu tun, sondern ist ein gewaltvoller Akt! Niemals kann eine Vergewaltigung dadurch gerechtfertigt werden, dass diese Fantasie von Frauen mit steigender Tendenz genutzt wird. Diese Fantasie darf von niemanden als eine Aufforderung oder Ausrede für reale Übergriffe genutzt werden, denn sie funktioniert nur, wenn es keine Realität ist.

Was Vergewaltigungsfantasien oder Überwältigungs-Fantasien, wie ich sie lieber nenne, für eine Funktion für Frauen haben können, habe ich fünf Möglichkeiten gefunden:

  1. Unwiderstehlichkeit statt Vergewaltigung
  2. Eine Folge der patriarchalen Kultur
  3. Der Kick mit der Angst
  4. Guter Sex braucht Muskelentspannung, Bewegung und Atmung
  5. Bezug zur eigenen Biografie

Unwiderstehlichkeit statt Vergewaltigung

Die Sexualforscherin Marta Meana bietet eine sehr verführerische Lösung an: Überwältigungs-Fantasien entspringen nach ihren Beobachtungen dem Wunsch, als Frau so attraktiv zu sein, dass der Mann oder gleich mehrere Männer die Kontrolle verlieren und jegliche Verbote missachten, um Sex mit der ich-Figur der Fantasierenden zu haben! Die Vergewaltigung als Beweis ihrer Unwiderstehlichkeit eine Abkürzung zum Orgasmus.

Ob diese Theorie das Rätsel löst, ist noch nicht hinreichend untersucht worden. Stellt sie sich als wahr heraus, wäre die Bezeichnung „Unwiderstehlichkeits-Fantasie“ angemessen.
Die Frauen in meine Romantrilogie „Theater der Lust“ sind übrigens geteilter Meinung: Die einen finden die „Unwiderstehlichkeits-Fantasie“ glaubwürdig, die anderen meinen, dass damit von der wahren Ursache, der Re-Inszenierung von Machtlosigkeit, abgelenkt wird.

Sexfantasien als Folge der patriarchalen Kultur?

Ist die Überwältigungs-Fantasie eine Folge der Kultur, in der wir leben? Auf der einen Seite befindet sich der Mann, der erobert, auf der anderen die Frau, die Sex lediglich passiv erleben darf. Sie könnte eine Antwort auf den Sexismus in der Werbung, in Büchern, in Filmen und Musik sein. Eine Antwort auf die tausendfach reproduziert Darstellung von Frauen als Objekte männlicher Bedürfnisse und Projektionen. In der dominantes Verhalten von Männern heroisiert und sexualisierte Gewalt romantisiert oder als „härterer Sex“ dargestellt wird. Frauen hingegen werden für jede Abweichung von der Norm bestraft und für Willenlosigkeit gelobt. Sexualität auf Augenhöhe findet kaum statt. Er steht, sie kniet. Die These, dass Frauen versuchen ihre Sexualität im Kontext männlicher Wünsche zu finden, wird von der Psychologin Sandra Konrad vertreten. Sie meint, der Wunsch begehrt zu werden ist nicht das Problem – die Verzerrung entsteht, wenn „er will mich“ wichtiger wird als „was will ich?“.

Dazu kommt die Darstellung von Sexualität im Porno. Ein Viertel der Porno-Konsumenten sind Frauen. Bereits in Studien aus den 1990er Jahren wurde erfasst, dass Frauen mit Überwältigungs-Fantasien mehr Pornografie konsumierten, als die ohne.

Ob die kulturelle Erklärung ihre Berechtigung hat, werden wir erst wissen, wenn wir in einer tatsächlich gleichberechtigten Gesellschaft leben.

Der Kick mit der Angst

Vermutlich denken wir bei der Ursachenforschung für diese weibliche erotische Fantasie nicht an die Funktionsweise unseres Körpers, sondern suchen nur nach psychologischen Aspekten. Es kann jedoch sein, dass der Reiz im Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus zu finden ist. Ganz allgemein übernimmt der Sympathikus die Kontrolle, wenn unser Körper sich in einer Stresssituation oder in Aktivität befindet. Er signalisiert uns: „Kämpfe oder fliehe“. Wir spüren erhöhten Herzschlag, atmen schneller und unser Blutdruck steigt. Der Parasympathikus übernimmt in der Ruhe- und Regenerationsphase.
Beide zusammen spielen – im Verbund mit Hormonen und Botenstoffen – auch beim Sex eine wichtige Rolle. Der Parasympathikus erhöht den Blutfluss, sorgt für den Gleitfilm in der Vagina, lässt die Klitoris und die inneren Labien anschwellen. Der Sympathikus übernimmt beim Orgasmus. Er löst die rhythmischen Muskelkontraktionen um Vagina und in der Gebärmutter aus.

Koppelt man dies Wissen mit dem Phänomen des Erregungs-Transfers wird es spannend. Ihr kennt das vielleicht aus eigener Erfahrung: Aufregung oder Angst, die man in einer Situation erlebt, überträgt sich auf den Menschen, den man in oder unmittelbar nach diesen erregungsauslösenden Momenten trifft. Deshalb raten Flirtcoachs beim ersten Date zu einem Abenteuer!  Danach steigt die Anziehung garantiert – sofern man die Person attraktiv findet. Allerdings verringert sie sich auch, wenn nicht.

In einem „Überwältigungs-Setting“ wird die Angst genutzt, um Erregung zu erzeugen oder zu steigern. Kurz vor dem Orgasmus wird der ich-Person weitere Gefahr angedroht oder Gewalt angetan. Der Sympathikus übernimmt wieder, der Orgasmus wird ausgelöst. So werden durch die fantasierten Erlebnisse biologische Abläufe in Gang gesetzt und für den Orgasmus genutzt. Dies funktioniert hervorragend bei der Selbstbefriedigung und auch mit einem Partner. Beobachten Sie sich ruhig einmal dabei, wann genau Sie die Fantasie einsetzen – eher für sich alleine oder wenn Sie einvernehmlichen Sex mit einem Mann haben?

Laut Critelli und Bivona wurde die Theorie der Sympathikus-Aktivierung noch nicht in Bezug auf Vergewaltigungsfantasien getestet. Die beiden PsychologInnen halten sie jedoch für vielversprechend, da diese biologischen Abläufe gut erklären, wie ein fantasiertes Ereignis, das Angst und Abwehr auslöst, genutzt wird, um ein positives Erlebnis zu verstärken.

Guter Sex braucht es Muskelentspannung, Bewegung und Atmung

Genauso wie die Fantasie den Körper beeinflusst, kann die Art wie der Körper eingesetzt wird, die Fantasie steuern. Für die Psychologin Stefanie Gonin-Spahni verrät eine Überwältigungs-Fantasie zuerst einmal, dass diese Frau mit sehr hohen Muskelanspannung und wenig Bewegung zum Orgasmus kommen will. Doch für guten Sex braucht es Muskelentspannung, Bewegung und Atmung. „Verändert die Frau ihre Erregungstechnik, beispielsweise durch Bewegungs- und Entspannungsübungen, verändert sich damit auch die Fantasie“, ist Gonin-Spahni überzeugt.

Womit wir wieder beim Sympathikus sind, der nicht nur durch Angst und Stress, sondern auch durch Bewegung aktiviert wird.

Überwältigungs-Fantasie und die eigene Biografie

Im Zuge der Re-Inszenierung nutzen manche Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, diese Fantasien nachträglich, um sich ein gewisses Maß an Kontrolle über das Geschehen zurückzuholen. Das unerwünschte Ereignis wird noch einmal mit einem imaginierten Partner durchgespielt. Dieses Mal jedoch mit der Möglichkeit den Stopp-Knopf zu drücken. Sie nutzen sie als Weg aus der Ohnmacht in die Selbstbestimmung.

Frauen re-inszenieren damit jedoch auch kollektive Erfahrungen. Unter den Hashtags #aufschrei und #metoo schreiben Millionen Frauen, wie häufig sie in allen möglichen Situationen ungefragt betatscht werden – im Bus, im Gedränge an der Bar oder beim Tanzen. Das Dominanzgehabe wird von den meisten Frauen als eine ständige Bedrohung und Einschüchterung empfunden. Für manche Frauen beinhalten Überwältigungs-Fantasien den Wunsch, die Kontrolle über den eigenen Körper zu behalten.

Im Umkehrschluss weist das Vorhandensein solcher Fantasien jedoch nicht zwingend auf einen Missbrauch hin. Es können auch andere emotional aufwühlende Erfahrungen aus nichtsexuellen Bereichen sein, die verschlüsselt sexualisiert werden.

Wenn Sie sich auf einen spannenden hocherotischen Roman mit diesem Thema einlassen möchten, empfehle ich Ihnen meinen Roman „Theater der Lust“ mit den drei Bänden MUT, RAUSCH und MAGIE

Dieser Artikel (Teil 1 und Teil 2) erschien zuerst in der Sépareé, einem Hochglanz Erotik Magazin für selbstbewusste Frauen unter dem Titel „Zwing mich – Heimliche Überwältigungsfantasien