Tabuisierte weibliche Sexfantasien Teil 1

Die Lust an der Überwältigung

Sexuelle Fantasien bereichern unser Liebesleben und fast hundert Prozent der Menschen erregen sich damit. Über manche sprechen wir mit unserem Partner oder mit der Freundin. Über andere sprechen wir selten bis gar nicht: Unterwerfungs- und Vergewaltigungsfantasien. Diese Sexfantasien sind ein Tabuthema. Sie passen weder zum Bild der emanzipierten Frau noch zu den eigenen Werten. Kein Wunder, dass sie bei vielen zu inneren Konflikten führen – wie bei Viktoria, der Protagonistin aus meiner Romantrilogie „Theater der Lust“. Sie sagt über sich: „Ich weiß, dass ich die Fantasien aktiv gestalte, doch dafür schäme ich mich. Es ist wie bei einem Abend, an dem man zu viel trinkt. Man weiß, dass es nicht gut ist, und trinkt doch, weil es in dem Moment Spaß macht. Erst am anderen Tag kommt der Kater.“ Viktoria verfolgt im Roman viele Ansätze, wo die Fantasien ihren Ursprung haben könnten.
Was hat die Wissenschaft zur Tatsache zu sagen, dass bis zu 57 % der Frauen Vergewaltigungsfantasien nutzen, um sich zu erregen? Da diese Fantasie gesellschaftlich als inakzeptabel gilt, liegt die Dunkelziffer wahrscheinlich höher. Übrigens: Auch Männer fantasieren manchmal, zum Sex gezwungen zu werden.

Reale Vergewaltigungen sind traumatisch

Eine Vergewaltigung ist kein Sex, sondern sexualisierte Gewalt. Es ist die Inbesitznahme des Körpers gegen den Willen der Person. Reale Vergewaltigungen sind nicht lustvoll, sondern traumatisch.
Wenn eine Frau fantasiert, „vergewaltigt“ zu werden, entspricht dies keiner tatsächlichen Vergewaltigung. Der Mann ist in dem Setting der Mann ihres Begehrens und handelt nach ihren Anweisungen – er zieht die ich-Figur an den Haaren, schlägt sie, fesselt sie und vieles mehr, doch er ist nie eine wirkliche Bedrohung! Seine Handlung verursacht keine physischen oder psychischen Schäden. Die Frauen, die in den Studien angaben, dass sie die Vorstellung errege, zum Sex gezwungen zu werden, betonten ausdrücklich dies nicht erleben zu wollen.

Falls Sie also in ihrem Kopf solche Szenen entwerfen: Sie sind keine Ausnahme!

In meiner Romantrilogie „Theater der Lust“ ist Viktoria Stellvertreterin für die Frauen, die diese Fantasien ängstigen. Sie sagt: „Von Zeit zu Zeit rufe ich sie, damit sie mich erregen, auch wenn sie brutal sind. Ich kann nicht damit aufhören. Sie sind wie eine Droge, die das Gehirn überschwemmt.“

Vielen Frauen geht es wie Viktoria. Sie schämen sich für dieses Setting und denken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Im schlimmsten Fall glauben sie, an einer Vergewaltigung selbst mit Schuld zu sein. Doch Frauen mit solchen Fantasien werden nicht häufiger als andere Frauen Opfer einer Vergewaltigung.

Es wäre also besser ihnen einen neuen Namen zu geben. Wie wäre es mit „Überwältigungs-Fantasie“?

Masochismus liegt nicht in der Natur der Frau

In einem Artikel in The Journal of Sex Research untersuchen die PsychologInnen Joseph W. Critelli und Jenny M. Bivona verschiedenen Theorien für die Ursachen. Zum Beispiel, ob damit eine generelle Lust an Unterwerfung und Schmerz einhergeht, denn bei masochistisch veranlagten Frauen tauchen verstärkt Überwältigungs-Fantasien auf. Doch Masochismus liegt nicht in der Natur der Frau, wie es bis weit ins 20. Jahrhundert behauptet wurde. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil an Masochisten lediglich bei 5 % bis 10 % Prozent und fällt somit als allgemein gültige Erklärung weg.

Ich kann nichts dafür – Schuldvermeidung

Eine weitere oft zitierte Theorie ist die „sexuelle Schuldvermeidung“, schließlich wurde und wird die weibliche Sexualität in fast allen Kulturen massiv unterdrückt. Sexuell aktive Frauen gelten heute noch als „Schlampen“ oder „Flittchen“. Um sich also wegen ihres Verlangens nicht schuldig zu fühlen, fantasiert Frau sich einen geilen Typen herbei, hat tollen Sex mit ihm, stellt jedoch für sich klar, dass die ich-Figur, die das alles erlebt, keine Einwilligung gegeben hat. Problem gelöst!
Tatsächlich neigen Frauen, die Schuldgefühle haben, eher zu Überwältigungs-Fantasien. Dementsprechend müssten Frauen mit positiver Einstellung zur Sexualität eine geringere Tendenz dazu zeigen. Das Gegenteil ist der Fall. Je größer die Bandbreite sexueller Erfahrungen, desto vielfältiger die Fantasien, inklusive Überwältigungs-Fantasien. Außerdem erklärt die Schuldvermeidungs-Theorie nicht, dass die meisten Frauen beides haben: Fantasien von einvernehmlichem und nicht einvernehmlichem Sex. Folglich kann sie nur für einen Teil der Frauen Gültigkeit haben.

Die Sexfantasie als Lösungsversuche unseres Gehirns

Überwältigungs-Fantasien sind also vor allem Szenarien, die schnell erregen. Noch finden weder die Frauen in meiner Romantrilogie noch wissenschaftliche Forschende eine Erklärung, die für alle Fantasierenden passt. Müssen sie auch nicht – das Ziel sollte sein, diese von tiefer Scham begleitete und von vielen als völlig unverständlich angesehene Fantasie zu enttabuisieren, indem häufiger darüber gesprochen wird, was sie bedeuten kann, individuell und gesellschaftlich.

Solange Sie keinen Leidensdruck haben, machen Sie einfach weiter. Wenn Sie sich dafür interessieren, welche Botschaften diese Fantasie für Sie bereithält, fragen Sie sich ganz entspannt: Was gibt mir die Fantasie? Was darin könnte etwas mit mir zu tun haben? Mit welchen sexuellen Aktivitäten des Überwältigers bin ich durchaus einverstanden? Somit haben Sie einen Ideenpool für Ihr Sexleben.

In diesem Sinne: Genießen Sie Ihre Sexualität und Kreativität!

Wenn Sie Lesestoff zu dem Thema suchen und sich lustvoll erregen lassen möchten, empfehle ich Ihnen „Theater der Lust“ mit den drei Bänden MUT, RAUSCH und MAGIE

Im 2. Teil dieses Beitrags (Erscheinungstermin 02. April 2024) stelle ich Ihnen fünf mögliche Erklärungen vor, die von unterschiedlichen Sexualpädagogen und Sexualforscherinnen zu dieser erotischen Fantasie von Frauen gegeben wurden.

  1. Unwiderstehlichkeit statt Vergewaltigung
  2. Eine Folge der patriarchalen Kultur
  3. Der Kick mit der Angst
  4. Guter Sex braucht es Muskelentspannung, Bewegung und Atmung
  5. Bezug zur eigenen Biografie


Dieser Artikel (Teil 1 und Teil 2) erschien zuerst in der Sépareé, einem Hochglanz Erotik Magazin für selbstbewusste Frauen unter dem Titel „Zwing mich – Heimliche Überwältigungsfantasien