Anleitung zur Entwicklung von sinnhafter Textgraffiti: Tipps und Techniken

Egal, ob du ein angehender Künstler, eine Street-Art-Enthusiastin oder einfach neugierig auf neue kreative Ausdrucksformen bist, dieser Leitfaden wird dir die Werkzeuge und Inspiration geben, um in die aufregende Welt der Textgraffiti einzutauchen.

Graffiti ist generell umstritten. Die einen sehen in Textgraffiti eine Kunstform, Worte in visuell beeindruckende Kreationen zu verwandeln, die anderen Sachbeschädigung und Schmiererei.

Dieser Leitfaden basiert auf dem Graffiti-Workshop „Literatur aus der Sprühdose“  im Rahmen des ersten Stuttgarter Literaturfestivals.

Das Ergebnis - Textgraffiti TRÄUMEN
Das Ergebnis – Textgraffiti TRÄUMEN

Tag – Schlagwort eines Textgraffiti

Beliebte Wörter von Textgraffiti, die Tags genannte werden: Cash – Chaos – HipHop – Nope – Hope – LOVE – Danger – Angel – Peace – Ciao – Wüste oder Begriffe aus der Komiksprache: Peng, Zack und andere.  Auch finden sich viele Akronyme (aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildetes Kurzwort), wie ACAB: „ALL COPS ARE BASTARDS“ an Wänden und Mauern.

Es gibt auch Graffiti-Werke, die einen Zusammenhalt haben. Zum Beispiel durch einen Song wie „HipHop & Rap“. Er enthält die Wörter Glaube, Relax, Straße, Weg, Liebe, Hass, Sinn, Wahn, die dann an die Wände gesprüht wurden. Das Video des Songs, samt Graffiti ist hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=nR6ylQRKmd8&ab_channel=SunnyBizness

Graffiti in Frankfurt unterhalb der Friedensbrücke
Graffiti in Frankfurt unterhalb der Friedensbrücke

Text für ein gemeinsames Graffiti entwickeln

Ausgangspunkt war das Motto des Literaturfestivals: „Schreiben, während die Welt geschieht“, das vieles bedeuten kann.

  • Schreiben während wichtiger Ereignisse oder Veränderungen in der Welt.
  • Schreiben als eine Form der Reflexion oder Dokumentation, um die sich entwickelnde Welt festzuhalten oder zu interpretieren.
  • Schreiben als eine Möglichkeit das Geschehen in der Welt zu beobachten, zu analysieren oder darauf zu reagieren.
  • Das Schreiben selbst als eine Form des Handelns oder des Erschaffens zu betrachten, die parallel zur sich entwickelnden Welt stattfindet.
  • Schreiben als eine eigenständige Aktivität, die unabhängig von den äußeren Ereignissen stattfindet.
  • Schreiben als eine Möglichkeit, sich von der Welt abzukoppeln, sich in eine eigene Welt des Schreibens zu begeben und dort kreativ oder reflektierend tätig zu sein.

Die Teilnehmenden nannten ihre Gefühle, die sie beim Schreiben haben: „Ruhe“, „Ordnung“, „Rückzug“ „versinken“. Die Schlagworte sammelte ich, um sie für die Idee der gemeinsamen Klammer zu nutzen: ein Akrostichon.

Ein Akrostichon als Textgraffiti

Ein Akrostichon ist eine einfache lyrische Form, ein Buchstabenspiel. Es muss sich nicht reimen. Die Buchstaben werden statt von links nach rechts, untereinander geschrieben. Somit ergeben die ersten Buchstaben der Zeilen von oben nach unten gelesen ein Wort. Vorgeführt habe ich es mit dem Wort  „Paradies“, um die Teilnehmenden nicht schon in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Poesie
Achtsamkeit
Ruhe
Aufmerksamkeit
Draußen sein
Innigkeit
Energie
Sinnhaftigkeit

Nachdem dies die Zustimmung aller fand, haben wir die Buchstaben der Wörter gezählt, die wir schon hatten und neue gesucht, die sieben Buchstaben hatten und damit der Anzahl der  Teilnehmende entsprachen.

Erleben, Träumen, Stimmen, Abpfiff, Achtung, Debatte, Egotrip, Grenzen, Kreativ …

Danach erfolgte ein dreifacher Abstimmungsprozess. Mehrfach, damit jede ihre Stimme neu verteilen kann, wenn ihr Favorit ausgeschieden war. So kam das Wort TRÄUMEN als Ergebnis zustande.

Spielerisch Ideen finden

Nun warfen wir uns gegenseitig einen Ball zu und jeder nannte ein Wort, das mit TRÄUMEN assoziiert sein sollte. So füllte sich der Raum mit Wörtern wie Alptraum, Nebel, Hinunterziehen, Angst, Springen, Fliegen, Labyrinth, und vielem mehr.

Jeder der Teilnehmenden schrieb nun sein eigenes Akrostichon mit dem Wort TRÄUMEN.

Akrostichon zu "TRÄUMEN"
Akrostichon zu „TRÄUMEN“

Wir bewunderten und würdigten die Akrosticha und spürten den einzelnen Begriffen nach. Wie fühlten sich die Wörter an, eher düster oder licht? Die Teilnehmenden entschieden sich für eine positive Variante und wir schrieben die Begriffe aus den Akrosticha auf die Tafel, die dieser Vorgabe entsprach. Danach erfolgte wieder ein Abstimmungsverfahren.

Akrostichon zu "Träumen"
Auswahlprozess und Entscheidung für das Akrostichon zu „Träumen“

Nun suchten sich die Teilnehmenden das Wort aus, das sie als Graffiti gestalten möchten. Damit war der Prozess abgeschlossen. Jede und jeder fühlte sich in dem Ergebnis repräsentiert. Der Zufall spielte ebenfalls mit, so dass einige auch das Wort hatten, das aus ihrem eigenen Akrostichon stammte.

Technische Umsetzung des Textgraffiti

Das Ergebnis war nun die Arbeitsgrundlage für Mike Becker, den Street-Art Künstler, der den Teilnehmende die Textgraffiti Techniken vermittelte und die Gestaltung übernahm.
Ziel war, dass durch die besondere Gestaltung des ersten Buchstabes  und die ergänzenden Bildmotive das TRÄUMEN gut zu erkennen ist.

Entwicklung der Bildmotive
Entwicklung der Bildmotive

Sprayen auf der Kulturinsel

„Literatur aus der Sprühdose. Ein Graffiti-Workshop“

In dem dreitägigen Workshop „Literatur aus der Sprühdose. Ein Graffiti-Workshop“ erlernten die Teilnehmenden durch den Graffiti-Künstler Mike Becker die Grundlagen des Graffitis und hatten die Möglichkeit, selbst zu experimentieren. Mein Part dabei war die Textentwicklung mit den Teilnehmenden. Durch Übungen des Kreativen Schreibens entstanden die Worte und Textfragmente, die anschließend an eine Fläche in der Kulturinsel Stuttgart gesprayt wurden.

Der Kurs fand im Rahmen des Stuttgart Literaturfestivals unter dem Motto „Schreiben, während die Welt geschieht“ statt.

Kuratiert wurde das Festival von der Schriftstellerin Lena Gorelik, die dazu international bedeutende Schriftsteller/innen sowie literarische Neuentdeckungen eingeladen und über 24 Veranstaltungen der Stuttgarter Literatur- und Kulturakteur/innen ausgewählt hatte.