In meiner Funktion als Beisitzerin im Vorstand des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di) VS in ver.di Baden-Württemberg hatte ich bei der Stadt Stuttgart Fördergelder für die Podiumsdiskussion „Traumberuf Autor:in: Mythen und Realität“ beantragt – und erfreulicherweise auch erhalten. Für die Umsetzung ging ich eine Kooperation mit der VHS Stuttgart ein. Die Veranstaltung fand am 19. November 2024 in den Räumen der VHS am Rotebühlplatz statt. Ziel war es, über den Beruf der Schriftstellerei aufzuklären und weitverbreitete Mythen wie „Vom Schreiben leben“, „Über Nacht berühmt“ oder „Der Verlag macht alles für dich“ einem Realitätscheck zu unterziehen.
Als Gäste waren die Verlagsautorin und Preisträgerin Beate Rothmaier sowie die Selfpublisherin und BILD-Bestseller-Autorin Julia K. Rodeit eingeladen. So konnten zwei unterschiedliche Wege zur Veröffentlichung – über einen Verlag oder im Selfpublishing – anschaulich und praxisnah vorgestellt werden. Im Mittelpunkt standen die Rahmenbedingungen, unter denen Literaturschaffende im Literaturbetrieb und im Selfpublishing bestehen können. Die Frage „Wie schreibe ich ein Buch?“ war bewusst nicht Gegenstand der Diskussion. Stattdessen gaben die Autorinnen wertvolle Einblicke in den Aufbau einer nachhaltigen Schriftsteller:innenkarriere. Dabei begegneten sie einander mit Respekt und diskutierten auf Augenhöhe. Eine Bewertung von sogenannter Unterhaltungsliteratur gegenüber ernster Literatur fand nicht statt – im Gegenteil: Das gemeinsame Fazit lautete, dass beide Publikationsformen sich gegenseitig inspirieren und bereichern können.


Mir als Moderatorin – ebenso wie meinen beiden Gästen – war es ein zentrales Anliegen, auf die Bedeutung der Arbeit des Schriftsteller:innenverbände und deren Engagement hinzuweisen, die sich unter anderem mit dem Umgang mit Künstlicher Intelligenz im Literaturbetrieb auseinandersetzen, für faire Bezahlung für literarische Arbeit und eine gerechte Regelung der Bibliothekslizenzen kämpfen.
Dank gezielter Öffentlichkeitsarbeit – mit Plakaten und Flyern in der VHS, Info-Material im Literaturhaus Stuttgart, über Newsletter der Autorinnen und der VHS sowie durch die Verbreitung über literarische Netzwerke (z. B. Mörderische Schwestern, Bundesverband junger Autor:innen, VS Baden-Württemberg, Schriftstellerhaus Stuttgart) und die Social-Media-Kanäle aller Beteiligten – konnten wir die erwartete Besucher:innenzahl deutlich übertreffen.
Mehr als dreißig interessierte Zuhörer:innen nahmen teil. Viele machten sich Notizen, stellten fundierte Fragen und nutzten die Gelegenheit, sich intensiv mit dem Berufsfeld Schriftstellerei auseinanderzusetzen. In der abschließenden Feedbackrunde wurde vor allem die Offenheit der Diskussion hervorgehoben. Die Veranstaltung wurde als bereichernde Fortbildung wertgeschätzt. Besonders positiv wurde betont, wie konkret und praxisnah die Gespräche verliefen – und dass es deutlich mehr Gesprächsbedarf gab, als die Zeit zuließ.
Bei entsprechendem Interesse möchten wir die Veranstaltung gern in anderen Städten wiederholen. Wer eine geeignete Location oder Kooperationsmöglichkeit hat, kann sich gern per Mail an post@ineswitka.de wenden.
Während der Vorbereitung auf die Moderation stellte ich mir selbst die Frage: Was sind eigentlich die gängigen Mythen über das Schreiben – und wie möchte ich die Diskussion gestalten?
Mythos 1: „Schreiben kann man oder nicht – Talent reicht aus“
Eine der häufigsten Annahmen über den Beruf Schriftsteller:in ist: Entweder hat man Talent – oder eben nicht. Doch dieser Mythos hält einer realistischen Betrachtung nicht stand.
Der Schriftsteller:innenberuf kennt keine klassische Berufsausbildung, die literarisches Handwerk systematisch vermittelt. Zwar gibt es mittlerweile akademische Studiengänge wie an der Universität Hildesheim, am Deutschen Literaturinstitut Leipzig oder an der Alice Salomon Hochschule in Berlin – dort habe ich meinen Master of Arts im Biografischen und Kreativen Schreiben absolviert – die den Einstieg in eine professionelle literarische Laufbahn erleichtern können. Aber grundsätzlich steht der Weg in die Veröffentlichung theoretisch allen offen – sei es über einen Verlagsvertrag oder im Selfpublishing.
Dennoch hält sich in der Literaturszene hartnäckig der Mythos des genialen Einzelkämpfers bzw. der genialen Künstlerin, die aus dem Nichts heraus ein Meisterwerk erschafft. Während in anderen Kunstformen wie Musik oder Malerei selbstverständlich ist, dass Übung, Technik und kontinuierliches Lernen dazugehören, wird literarisches Schreiben oft noch als rein intuitives Talent betrachtet.
In der Diskussionsrunde wurde diese Vorstellung jedoch einhellig wiedersprochen. Alle Beteiligten betonten, wie wichtig kontinuierliches Lernen ist – sei es durch Mentor:innen, Vorbilder, Schreibseminare oder schlichtweg durch die Praxis. Professionelles Schreiben erfordert Hingabe, Durchhaltevermögen und den Willen zur stetigen Weiterentwicklung.
Mythos 2: Der oder die Einzelkämpfer:in
Zugegeben – der Beruf als Autor:in bedeutet viele Stunden konzentrierter Schreibtischarbeit. Schreiben ist in vielerlei Hinsicht ein stiller, introspektiver Prozess. Doch wer glaubt, dass Schriftstellerei ausschließlich aus Einsamkeit besteht, unterschätzt die vielen kooperativen Elemente dieses Berufs.
Sobald ein Buch veröffentlichungsreif wird, beginnt die Phase der Zusammenarbeit. Verlagsautor:innen profitieren dabei von der gesamten Verlagsstruktur: Lektorat, Korrektorat, Covergestaltung, Pressearbeit, Marketing und Vertrieb arbeiten mit am Gelingen des Buchprojekts. Wer im Selfpublishing veröffentlicht, stellt sich ein eigenes Team zusammen – in der Regel gehören dazu mindestens professionelle Lektorats- und Coverdesign-Leistungen, oft auch Unterstützung im Bereich PR oder Vertrieb.
Literaturagenturen haben den Zugang zum Buchmarkt zusätzlich verändert. Wer von einer Agentur vertreten wird, erhält fachkundige Begleitung – sowohl bei der Verlagssuche als auch im weiteren Prozess der Buchveröffentlichung.
Was viele angehende Autor:innen zu Beginn unterschätzen, ist die Bedeutung von Netzwerken. Diese unterstützen bei fachlichen Fragen, motivieren, öffnen unter Umständen Türen und helfen, den Überblick im komplexen Literaturbetrieb zu behalten. In Deutschland gibt es dafür zahlreiche Möglichkeiten:
- Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di) – Berufsverband für professionell Schreibende.
- Selfpublisher-Verband – Interessenvertretung verlagsunabhängig veröffentlichender Autor:innen.
- Bundesverband junger Autor:innen (BVjA) – richtet sich an Schreibende in der Anfangsphase, unabhängig vom Alter.
- Mörderische Schwestern e. V. – fördert deutschsprachige Kriminalliteratur von Frauen.
- SYNDIKAT – Netzwerk für deutschsprachige Krimiautor:innen.
- DELIA – Vereinigung von Autor:innen deutschsprachiger Liebesromane.
- Neckarautoren – Netzwerk für Kinder- und Jugendbuchautor:innen sowie Illustrator:innen aus der Region Stuttgart.
- PEN-Zentrum Deutschland – setzt sich international für Literatur, Meinungsfreiheit und Völkerverständigung ein.
Mitglied in einem dieser Netzwerke zu sein, bietet zahlreiche Vorteile: Stammtische, Fachseminare, Austausch in sozialen Netzwerken, Unterstützung durch Multiplikator:innen und vor allem Kontakt zu Gleichgesinnten. Der Austausch – menschlich, sprachlich und textlich – ist eine wichtige Ressource auf dem Weg zu einer nachhaltigen Schriftsteller:innenkarriere.
Mythos 3: Freiheit pur
Der Beruf als Autor:in gilt oft als Inbegriff von Freiheit: künstlerisch, kreativ, selbstbestimmt. Und ja – es ist eine besondere Art zu arbeiten. Doch diese Freiheit will gestaltet werden. Ohne Selbstorganisation, ohne klare Tagesstruktur – je nachdem, ob man sich gerade in der Schreibphase oder bereits im Veröffentlichungsprozess befindet – ist professionelles Arbeiten kaum möglich.
Literaturschaffende entscheiden sich für einen Marathon, nicht für einen Sprint. Wer professionell schreiben möchte, bleibt auch nach dem ersten Buch dran, lässt sich nicht entmutigen und findet Wege, weiterzuarbeiten. Die Zeiten, in denen Autor:innen eine dauerhafte verlegerische Heimat hatten, sind weitgehend vorbei. Heute heißt es oft: Für jeden neuen Titel den passenden Verlag finden – oder sich bewusst fürs Selfpublishing entscheiden.
Das klingt nicht nur nach Disziplin – es ist Disziplin. Kreativität allein reicht nicht aus. Professionelle Autor:innen warten nicht darauf, dass die Inspiration plötzlich einschlägt. Sie setzen sich an ihren gewählten Schreibort, schalten Social-Media-Kanäle bewusst aus, schaffen sich die nötige Ruhe – und arbeiten konsequent an ihren Texten.
Warum tut sich jemand das an? Weil Schreiben mehr ist als Arbeit. Weil Schreiben erfüllt. Auch wenn es Tage gibt, an denen Verzweiflung überwiegt – die Zufriedenheit, die das literarische Schaffen mit sich bringt, wiegt diese Momente oft auf.
Mythos 4: Wer Bücher schreibt, wird berühmt
Ein weitverbreiteter Glaube: Wer ein Buch veröffentlicht – und sei es nicht gleich beim ersten, dann spätestens mit einem Titel auf der Bestsellerliste – wird automatisch bekannt und der Erfolg geht danach kontinuierlich weiter. Doch der Literaturbetrieb folgt selten linearen Wegen. Ein erfolgreicher Titel bedeutet noch lange nicht, dass sich der Erfolg dauerhaft fortsetzt.
Auch wenn Schriftsteller:innen ihre literarische Nische gefunden haben, Trends am Buchmarkt ändern sich schnell – sowohl im Selfpublishing als auch im klassischen Verlagswesen. Welche Themen in einem Jahr gefragt sind, kann niemand verlässlich vorhersagen. Wer gezielt für den Markt schreibt, betreibt daher oft umfassende Marktanalysen, um Entwicklungen frühzeitig zu erkennen.
Das bedeutet auch, dass die thematische Freiheit oft geringer ist, als zunächst angenommen. Wer im Mainstream erfolgreich sein will, orientiert sich an Leser:innenbedürfnissen und aktuellen Entwicklungen – nicht immer an der eigenen literarischen Vision. Vor allem dann, wenn das Schreiben auch den Lebensunterhalt sichern soll.
In der Regel lassen sich mit Unterhaltungsliteratur höhere Einnahmen erzielen als mit literarisch anspruchsvollen Werken. Aktuell boomen insbesondere Liebesromane mit fantastischen Elementen. Auch Thriller und Kriminalromane finden regelmäßig ein großes Publikum. Wer künstlerisch ambitionierte Literatur schreibt, muss hingegen häufig mit geringeren Einkünften rechnen – selbst bei guter Presse und Anerkennung im Feuilleton.
Der Wunsch zu schreiben sollte deshalb aus einer inneren Überzeugung kommen – nicht aus dem Streben nach Ruhm.
Mythos 5: Wer schreibt, verdient gutes Geld
„Hast du dir vom ersten Buchhonorar einen Porsche gekauft?“ – Solche Fragen hören Autor:innen regelmäßig, besonders bei Schullesungen. Kaum jemand sagt, dass er oder sie Schriftsteller:in ist, ohne dass gleich die Frage nach dem Einkommen folgt.
Realität: Literatur bringt selten finanziellen Reichtum
Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass die meisten Literaturschaffenden ihren Lebensunterhalt nicht allein durch Schreiben bestreiten können. Viele finanzieren sich durch eine Mischung aus lesungsbezogener Arbeit, Lehraufträgen, journalistischer Tätigkeit oder auch fachfremden Jobs.
Die Literaturwissenschaftlerin Carolin Amlinger bezeichnet das Schreiben als „prekäre Profession“, da es in den seltensten Fällen langfristige finanzielle Sicherheit bietet – auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt.
Aktuelle Studie des VS: Einkommenssituation von Autor:innen
Gerade wurde eine vom Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) beauftragte Studie zur Einkommenssituation veröffentlicht. Dafür wurden u. a. die Einkommensteuerdaten von 75.000 Autor:innen ausgewertet:
- Nur 5,7 % können ausschließlich von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit leben – darunter vor allem Drehbuch- und Hörfunkautor:innen.
- 41 % verdienen jährlich bis zu 10.000 Euro brutto.
- Weitere 18 % erzielen bis zu 20.000 Euro, und 24 % zwischen 20.000 und 50.000 Euro brutto jährlich.
- Immerhin 7 % kommen auf 100.000 Euro oder mehr.
- Es gibt sogar rund 30 Umsatzmillionär:innen unter den Schreibenden in Deutschland – eine sehr kleine, aber medienwirksame Gruppe.
👉 Link zur Studie: Einkommensreport des VS
👉 Weitere Zahlen zur Umsatzentwicklung: Sinkende Autor:inneneinkommen
Verlagsautor:in oder Selfpublisher:in – Wer verdient was?
Verlagsautor:innen erhalten in der Regel einen Vorschuss, der später mit den Verkaufserlösen verrechnet wird. Das jährliche Honorar – bei Taschenbuchverkäufen oft nur 6 bis 7 % vom Netto-Ladenpreis – wird einmal jährlich abgerechnet.
Selfpublisher:innen gehen in Vorleistung, indem sie Dienstleistungen wie Lektorat, Coverdesign oder Marketing einkaufen. Im Gegenzug können sie aber pro Verkauf höhere Margen erzielen und erhalten meist monatlich eine Übersicht ihrer Einnahmen.
👉 Plakat-Tipp: Wer bekommt was vom Buch? Kurt Wolff Stiftung

Zusätzliche Einnahmequellen: Lesungen, Lizenzen, Hörbücher, Filmrechte
- Lesungen bringen oft ein wenig Geld – allerdings steht der Zeitaufwand (Anfahrt, Vorbereitung) in keinem Verhältnis zum Stundenlohn.
👉 ver.di hat einen Honorarrechner entwickelt, um bei der Kalkulation von Honoraren zu unterstützen ver.di HonorarrechnerKreative - Lizenzen, Hörbücher, Filmrechte: Wenn solche Optionen greifen, kann das lohnend sein – aber sie bleiben die Ausnahme.
Förderungen & Stipendien
Die Förderkultur ist in Deutschland breit aufgestellt. Es gibt Literaturstipendien, Preise und Wettbewerbe, die zeitlich begrenzte finanzielle Unterstützung bieten – oft in Verbindung mit einem Aufenthalt an einem bestimmten Ort.
Ein Beispiel: Der Förderkreis der Schriftsteller:innen in Baden-Württemberg vergibt jährlich Stipendien und den Anna Haag Preis mit einem Preisgeld von 10.000 Euro. Auch Stadtschreiber:innenprogramme in vielen Städten bieten Möglichkeiten zur Förderung.
Allerdings gilt: Auch ein Preis oder Stipendium ist keine Garantie für Verlagsinteresse oder Verkaufserfolg.
👉 Weitere Infos & Recherchemöglichkeiten:
Von der Schriftstellerei leben zu können – ist also keineswegs selbstverständlich. Es erfordert nicht nur Talent, sondern auch Durchhaltevermögen, strategisches Denken und oft eine Portion Glück.