Interview in DIE.STILISTEN: Geliebte – Opfer oder Biest?

Auch das ist Autorenleben: Im April 2018 bekam ich eine Interview-Anfrage vom Magazin STIL.IST.
Es ist ein sehr schönes Magazin. Erscheint vier Mal im Jahr. Ihre Themen: „Die schönen Seiten der Region in unverwechselbarer Natürlichkeit und Authentizität aufzeigen – darauf liegt der Fokus.“ und da ich aus der Region bin, bin ich für die Ausgabe 13 angefragt worden ein Interview zum Thema „Geliebte“ zu geben.
Im Mai habe ich es freigegeben, erschienen ist es im Juni 2018. Da es in ihrem Archiv auf der Website freigeben ist, darf ich es nun hier verwenden.

Geliebte – Opfer oder Biest?

Wir haben die Stuttgarter Autorin Ines Witka zu dem Thema befragt, die in ihren Romanen und Sachbüchern Themen wie Liebe, Erotik und Partnerschaft behandelt. In unserem Interview erzählt sie uns von den vielfältigen Mechanismen und Motivationen, die hinter dem Konzept Geliebte stehen können und warum eine Geliebte für sie weder Opfer noch Biest ist.
STIL.IST In Ihrem Buch „Stell dir vor, ich bin deine heimliche Geliebte: Der Reiz des Escort-Service“ haben Sie Männer und Frauen interviewt. Escort-Begleitungen und Escort-Kunden kommen in dem Buch ebenso zu Wort wie Agentur-Inhaberinnen. Was ist den Erzählungen nach für Männer das Reizvolle an dieser „Geliebten auf Zeit“?
Es sind sehr unterschiedliche Bedürfnisse, die sich die Herren mit einer Frau erfüllen, die sie für die gemeinsam verbrachte Zeit bezahlen. Interessanterweise sind es nicht die besonderen oder ausgefallenen Sexualpraktiken, auch wenn es natürlich um Sex geht.

Oft geht es einfach darum fremde Haut zu streicheln oder angesichts eines strahlenden Lächelns den Eindruck zu gewinnen, dass sich die Frau jetzt wirklich ganz besonders auf den Sex freut. Die Männer genießen es, zu kuscheln, zu streicheln, zu reden und zu lachen, Nähe zu genießen. In der kurzen Zeit der Begegnung wollen sie einfach tolle Männer sein und keinen Stress haben.

Ein zusätzlicher Reiz ist es, mit einer Frau zusammen zu sein, die das Aussehen hat, das der Mann mag. Zum Beispiel eine schlanke trainierte Frau, eine mit schmalen Hüften, eine mit weichen Rundungen oder ein jugendliches Aussehen. Auf diese Art können sie mit einer Traumfrau zusammen sein ohne sich vorab dem Risiko auszusetzen, nicht erhöht zu werden. Andere sagen, dass sie sich die langen, einsamen Abende versüßen wollen, die sie während den Dienstreisen oder aus anderen Gründen haben.

Bei manchen ist es Abenteuerlust.
Die Aufregung, wer da wohl
zur Tür reinkommt,
und wie sie sich anfühlen wird.

So wird schon die Suche genossen, das Betrachten der Fotos auf den Agenturseiten. Wie sie wohl riecht? Wie sie sich wohl bewegt? Wie sie spricht? Und dann, wenn es so weit ist, erregt die Gewissheit, dass da eine Frau kommt, mit der man Sex haben wird und die sich, sofern man sich das gewünscht hat, sexy kleidet. Auch da sind es normale Wünsche: Halterlose Strümpfe, Dessous, High Heels …
Es wird Sie vielleicht überraschen, dass die Entscheidung für einen Escort auch aus einem moralischen Dilemma heraus gefällt wird. Zum einen möchten die Männer ein prickendes sexuelles Abenteuer erleben, zum anderen jedoch ihre Frauen nicht betrügen – da erscheint ihnen die Lösung, dafür zu bezahlen das einfachste zu sein. Man befindet sich in dieser Zeit in einer Parallelwelt. Probleme bleiben außen vor. Dies ist sicher ähnlich wie bei einer tatsächlichen Geliebten, auch dort ist man versucht, die Zeit nur positiv zu verbringen. Jedoch ist durch die geschäftliche Basis der Zeitrahmen klar definiert.

Der Mythos Geliebte ist wohl
so alt wie die Menschheit
und
Monogamie selbst

STIL.IST Unterschieden sich die Motive Ihrer Interviewpartner für die Nutzung eines Escort-Services je nachdem, ob ein Mann oder eine Frau die käufliche Liebe in Anspruch nahm?
Noch ist es so, dass Frauen weniger buchen. In der Regel haben sie viele Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen mit dem sie unverbindlichen Sex haben können. Die gepflegte Geschäftsfrau, die einen Escort bucht, weil sie einen Geliebten sucht, mit dem sie heißen Sex haben kann, ist eher die Klischeevorstellung und nicht die Realität. Wenn Frauen buchen, äußern viele den Wunsch nach einer erotischen Massage. So konkrete Wünsche wie nach einer oralen Befriedigung nennen sie eher nicht. Viel häufiger als die Einzelbuchung ist in dem Bereich allerdings die Pärchenbuchung. Die Fantasie, von zwei Männern verwöhnt zu werden, ist im Kopf vieler Frauen. Allein die Vorstellung ist schon reizvoll, doch wie soll ein Pärchen das umsetzen? Nicht jedes Paar will in den Swingerclub. So ist die Buchung eines Escorts eine nahe liegende Lösung. Der Escort verwöhnt die Frau, und ihr Mann oder Freund macht mit. Auch hier ist es der Wunsch, keine Gefühle des Partners zu verletzten und die Gefühlsebene außen vorzulassen. Ähnlich wie bei den Männern will die Frau kein Ungemach für die eigene Partnerschaft riskieren.
Ein weiterer Unterschied ist, dass die Frauen den Wunsch haben, dem Escort zu gefallen. Sich also als Geliebte präsentieren. Ihn in Klamotten empfangen, die sie als sexy empfinden.

STIL.IST Der Mythos Geliebte ist wohl so alt wie die Menschheit und Monogamie selbst und oft ist die Geliebte eine Schlüsselfigur in Filmen und Büchern. Doch letzten Endes ist sie ja ein Eindringling in eine Beziehung oder glauben Sie unter gewissen Umständen kann sie auch eine Beziehung neu beleben?

Eine kurze Affäre oder ein
Seitensprung kann das
Sexual leben einer Partnerschaft
durchaus beleben.

Witzig wie Sie das formulieren, so als ob die Geliebte das Biest, Invasorin, Aktive sei. Dabei ist die Geliebte doch diejenige, die sehr wenig mitbestimmt. Ist sie nicht eher zur Passivität verurteilt und wartet? Herrscht nicht eher in der ursprünglichen Partnerschaft bereits ein Mangel? Ich vermute schon, sonst wäre da doch gar kein Raum.
Eine kurze Affäre oder ein Seitensprung kann das Sexualleben einer Partnerschaft durchaus beleben. Vielleicht erwacht dadurch wieder bei ihm das Interesse Sex mit seiner Frau zuhaben oder er lernt durch die Geliebte etwas Neues, was er zurück in die Partnerschaft trägt und überrascht damit seine Frau oder er ist besonders aufmerksam zu ihr, um seinen Seitensprung auszugleichen.
Aber wenn eine Affäre über eine längere Zeit läuft, heißt das in der Regel, dass in der festen Partnerschaft etwas nicht stimmt. Wie soll dies durch eine Geliebte gelöst werden? Ist das nicht eher ein Ausweichen?

STIL.IST Vorausgesetzt sie weiß von der Beziehung des Mannes setzt das Dasein als Geliebte doch auch eine gewisse Moralfreiheit und Kaltschnäuzigkeit voraus – bei dem Betrüger natürlich ebenso. Glauben Sie es gibt Frauen, die von Natur aus besser „zur Geliebten geschaffen“ sind als andere?
Ich käme weder bei der Geliebten noch bei dem Mann auf die Idee Moralfreiheit oder Kaltschnäuzigkeit vorauszusetzen. Das widerspricht meiner Art zu denken. Damit würde ich eine pauschale Bewertung vornehmen, die mir nicht zusteht. Ich halte es da eher mit der indianischen Weisheit, nie einen Menschen zu beurteilen, dessen Mokassins ich nicht mindestens einen halben Mond lang getragen habe.
Ansonsten glaube ich, dass es sehr unterschiedliche Gründe gibt, warum eine Frau Geliebte wird und dies nichts mit den Genen zu tun hat, falls Sie das mit „Natur“ gemeint haben.
Ich bin nicht bereit, mich auf einen Mann einzulassen, der noch mit einer anderen zusammen ist. Das hat was mit Selbstbewusstsein und Selbstwert zu tun und nichts mit der „Natur.“
Ich höre schon die Gegenrede: „Ich kenne eine Geliebte, die ist taff, die hat einen tollen Beruf, die ist selbstbewusst.“
Ja, wenn es um das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten geht, besitzt sie es. Doch wie steht es um die Überzeugung, dass sie es wert ist respektiert und geliebt zu werden? Wie sehr kümmert sie sich um ihre Bedürfnisse und Träume? Wie sehr liebt sie sich?
Ich höre auch die Gegenrede: „Ich bin da so hineingeschlittert. Ich wusste nicht, dass er noch eine Partnerin hat.“
In meinen Kursen zum Online Dating spreche ich auch darüber, dass mancher Kandidat auf den Portalen keine Partnerin, sondern eine Geliebte sucht, das aber nicht zugibt. Dann nenne ich ein paar Anzeichen, woran frau das erkennen könnte: wenn einer selten am Wochenende kann, wenn immer nur die Mailbox erreichbar ist, wenn er sich nie außerhalb meiner Wohnung oder Plätzen meiner Wahl treffen will, wenn einer noch vorsichtig sein muss wegen einem Scheidungsverfahren, der instabilen Psyche seiner Frau, den Kindern…
Ich sage noch: „Vertrauen Sie einfach Ihrer Intuition, wenn Sie denken, da ist was faul, dann ziehen Sie die Reißleine und gehen.“

STIL.IST Oft nennen Männer, die fremdgegangen sind, neben der sexuellen Frustration auch den Nervenkitzel und die Bestätigung des eigenen Egos und „Marktwertes“ als Motive. Ist eine Geliebte damit nicht automatisch in einer schwachen Position, da sie zum Spielzeug und Mittel zur Befriedigung des männlichen Egos und Sexualtriebes degradiert wird?
Sexuelle Frustration – das nennen auch häufig die Männer als Grund, wenn sie eine Frau über eine Escort Agentur buchen. Ihre Frauen hätten kein Interesse an Sex oder nicht häufig genug oder nicht leidenschaftlich genug oder oder oder. Immer ist es ein Mangel, der auf der Seite der Frau gesucht wird. Das nervt.
Ja, der Nervenkitzel, das Abenteuer, das Neue, das kann ich verstehen. Zu sagen, ich wünsche mir das, bin jedoch nicht in der Lage, dieses in der eigenen Beziehung wach zu halten, deshalb suche ich es außerhalb. Das wäre eine Haltung. Stattdessen schiebt man es als Schuld dem anderen zu.

Evolutionsbiologen erklären,
dass der Mann seine Gene verbreiten will,
die Frau sich hingegen eine verlässlichen
Beschützer suchen  muss

Ihre Frage klingt so, als lebten wir in einem anderen Jahrhundert. Als wäre eine Geliebte ein Opfer, eine unfreiwillige Beute eines egoistischen Mannes.
Eine Geliebte ist nicht automatisch in einer schwachen Position. Wenn eine Frau eine Beziehung mit einem Mann eingeht, der ihr gut gefällt und mit dem sie Spaß im Bett hat, wo ist da eine Degradierung? Vielleicht gefällt es ihr, diejenige zu sein, die seinem Ego gut tut, vielleicht gefällt es ihr, in diesem Moment Spielzeug zu sein, vielleicht befriedigt sie damit ihren Sexualtrieb. Vielleicht sogar ihr weibliches Ego?
Wenn sie erkennt, dass sie etwas anderes will, mehr Beziehung, mehr Verbindlichkeit oder eine Perspektive und sie es mit diesem einen Mann nicht erhält, hat sie doch die Möglichkeit zu gehen. Ich glaube an die Selbstverantwortung des Menschen.

STIL.IST Betrogene Frauen sagen oft im Nachhinein, dass sie für ihren Mann „die Hand ins Feuer gelegt hätten“. Was halten Sie persönlich von dem Klischee des evolutionär bedingten Sexualtriebes der dazu führt, dass der Mann zwanghaft seine Gene verteilen muss und daher früher oder später immer fremdgehen wird?
Ich kenne diese Thesen. Evolutionsbiologen erklären, dass der Mann seine Gene verbreiten will, die Frau sich hingegen einen verlässlichen Beschützer für die Nachkommen suchen muss, der mindestens drei Jahre bleibt. Somit ist ihr Verhalten ein selektives, eines das auf »Qualität« abzielt. Es gibt aus biologischer Sicht durchaus gute Gründe für die Vermutung, dass Frauen viel weniger fremdgehen.
Doch natürlich wird menschliche Sexualität nicht allein von biologischen Faktoren bestimmt. Eine wesentliche Rolle spielt auch gelerntes Rollenverhalten. Für Frauen gelten andere moralische Standards. Es gibt genügend Hinweise, dass Frauen sexuell aktiver wären, würden sie nicht durch gesellschaftliche Moralvorstellungen gebremst. Auch wenn sie eine heimliche Affäre durchaus genießen, wissen sie genau, dass aktives sexuelles Verhalten für sie andere Konsequenzen hat als für einen Mann. Wo »Mann« mit sanftem Tadel und mehr oder minder offener Bewunderung für seinen »Ausrutscher« rechnen kann, droht »Frau« bei einem „Zuviel“ die gesellschaftliche Ächtung.

Eine wesentliche Rolle spielt
auch gelerntes Rollenverhalten.

Kennen Sie die Studie der Universität Ohio? Studenten wurden nach der Anzahl ihrer Sexualpartner befragt. Die Männer gaben im Schnitt 3,7 an, die Frauen 2,6. Als man ihnen suggerierte, dass sie an einen Lügendetektor angeschlossen seien, erhöhte sich bei den Männern die Anzahl unwesentlich auf 4,0, bei den Frauen hingegen auf 4,4.
Dies untermauert die Vermutung, dass Frauen ein zurückhaltendes Sexualverhalten angeben, weil es von ihnen erwartet wird. Sexuelles Verhalten ist immer auch von dem geprägt, was eine Gesellschaft duldet. Je gleichberechtigter Mann und Frau sind, desto mehr wird sich auch das Verhältnis zwischen fremdgehenden Männern und Frauen angleichen. Wer weiß, vielleicht wird es in naher Zukunft genauso viele Frauen geben, die einen Geliebten haben wie heute Männer, die ein Geliebte haben.

STIL.IST Der Moment des Heimlichen und Verbotenen ist für Viele nicht nur das notwendige Übel, sondern auch das Reizvolle an einem „erotischen Auswärtsspiel“. Daher die Gretchenfrage: Denken Sie, es ist realistisch, dass aus einer Geliebten eine feste Partnerin werden kann? Wenn ja unter welchen Umständen?
In meinem Bekanntenkreis stets 50 zu 50. Aus einer Geliebten wurde selbst nach Jahren keine Partnerin. Aus einer Geliebten wurde eine Partnerin, aber nicht auf Dauer. Sie war über die Wandlung ihrer Stellung enttäuscht. Nun bekam sie keine tollen Geschenke mehr. Erlebte keine leidenschaftlichen Wochenenden in teuren Hotels, wurde nicht mehr auf Händen getragen, denn sie war nun die Alltagsfrau, die man nicht mehr bei Laune halten musste.

Das Interview für STIL.IST führte J.NAUN