Hast du das selbst erlebt?

Mein fünftes Buch ist erschienen und doch ist es ein Debüt. Es ist mein erstes öffentliches Auftreten als Romanautorin. Perle um Perle auf Lesungen und auf der Leipziger Buchmesse vorzustellen, fühlte sich richtig gut an.

Nun ist der erste Trubel um die Neuerscheinung vorüber, aber sie spielt weiterhin eine Rolle in meinem normalen Sein als Dozentin, als Mutter, als Tochter, als Schwester, als Partnerin, überall ist der Roman ein Thema. Und zwar in Bezug auf die Frage nach den autobiografischen Anteilen.

Mein Exmann, noch vor Erscheinen: Erkennt man mich darin wieder?

Meine Tochter, Testleserin: Das Buch ist so spannend. Es ist seit den Tributen von Panem das Beste, was ich gelesen habe. Ganz toll finde ich, dass ich einiges aus unserer Familie wiedererkannt habe. Zum
Beispiel den sprechenden Wecker, den ich hatte.

Meine Schwester hat den Roman gleich nach der Buchmesse erhalten und an einem Wochenende gelesen. Sie meinte: Autobiografisches habe ich gar nicht entdeckt, eine Szene vielleicht. Klar, Stuttgart habe ich mit seinen Besonderheiten wie die Zahnradbahn erkannt. Okay, die Mutter von Margarete ist Boutique-Besitzerin, wie unsere Mutter es gewesen war, aber sonst? Wie kommst du ausgerechnet auf Tennis?

Meine Mutter: Ich will das unbedingt lesen. Das kommt doch alles aus dir heraus. Das bist nun ganz du. Alle meine Freundinnen wollen das Buch auch lesen.

Meine Freundin: Wie lieb, du hast mir ein Denkmal gesetzt. (Eine positive Figur im Roman heißt Petra wie sie und es stimmt, ich habe dabei an sie gedacht).

Meine TeilnehmerInnen in der Schreibwerkstatt: Warum schreiben Sie eigentlich oft über Sexualität und Erotik? Haben Sie uns nicht erzählt, dass ein Autor immer über seine Obsessionen schreibt?

Aha, als Erstes wird nach den autobiografischen Anteilen gesucht. Dass dies so ist, ist mir bekannt und zum Teil habe ich beim Schreiben darauf reagiert. Als ich den Roman begann, hieß der Callboy darin Andreas. Dann lernte ich meinen Partner kennen, der zufälligerweise Andreas heißt. Also heißt der Callboy nun Simon, damit keine Missverständnisse aufkommen.

Ob die erotischen Szenen selbst erlebt sind, hat niemand gefragt, dazu würde ich sowieso nur lächeln und schweigen. Ronja von Rönne, eine Autorin, gerade Mitte zwanzig, sagte auf einer Veranstaltung zu
ihrem Romandebüt Wir kommen, dass ihre Sexszene eigentlich keine richtige sei, da sie eher im Vagen geblieben sei, wegen ihrer Mutter.

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Traum der Fischersfrau, Katsushika Hokusai 1760 – 1849
(Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons)

Mich stört es nicht, wenn meine Mutter liest, wie und was ich über Sex schreibe.
Dennoch wage ich es kaum, mir meine Mutter beim Lesen der Liebesszene mit dem
Kraken vorzustellen:

„»Hab Vertrauen«, flüsterte die
Fischersfrau und übergab Margarete in die acht Fangarme des Tieres. Trotz ihrer
Angst ließ sie es widerstandslos geschehen. Seine Arme, übersät mit hunderten
von Saugnäpfen, schlangen sich um ihre Waden, ihre Beine, ihre Taille und ihren
Hals und bewahrten sie vor dem Absinken ins dunkelblaue Dämmerlicht. Seine
freien Tentakel glitten über ihren Körper, seine Saugnäpfe übersäten sie mit
Küssen, betasteten sie gierig. Seine Haut war kalt, wechselte die Farbe, von
hellrot zu dunkelrot und zurück, ein Farbenspiel seiner Erregung. Die
Fischersfrau stand am Strand, neben ihr ein Mann im Anzug, er trug keine
Schuhe, seine Brillengläser blitzten in der Sonne. Ihr stockte der Atem:
Steinfels.“

Ich bin gespannt, ob sie mich darauf ansprechen wird oder auf eine der anderen
ausgefallenen Experimente von Margarete. Meine Vermutung? Eher nicht.

Eure Ines Witka

Ein Gedanke zu „Hast du das selbst erlebt?

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